Anlässlich des World Ovarian Cancer Day führte HaDEA ein Interview mit Sampsa Hautaniemi und Ann-Christin Ostwaldt vom DECIDER-Projekt durch.
DECIDER ist ein Forschungs- und Innovationsprojekt im Rahmen von Horizon Europe, das an der Überwindung der Chemotherapieresistenz bei high-grade servous ovarian cancer (HGSC) arbeitet, indem es wirksame personalisierte Behandlungsoptionen ermittelt.
Prof. Hautaniemi ist der koordinierende Leiter des Projekts und Leiter der Forschungsgruppe "Systems biology of drug resistance" an der Universität Helsinki in Finnland. Dr. Ann-Christin Ostwaldt ist die operative Projektleiterin von DECIDER. Zusammen mit dem gesamten Hautaniemi-Labor sind sie für die Koordination und das Management des DECIDER-Projekts sowie für die Qualitätskontrolle, die Analyse und Verarbeitung von Ganzgenom-, Transkriptom- und ctDNA-Sequenzierungsdaten und das Datenmanagement verantwortlich.
- Was ist das Hauptproblem, das mit dem DECIDER-Projekt gelöst werden soll?
Das high-grade serous carcinoma (HGSC) ist die häufigste und aggressivste Form von Eierstockkrebs und stellt die Behandlung vor mehrere große Herausforderungen. Die meisten Patientinnen bzw. Patienten sprechen zunächst gut auf eine Chemotherapie an, insbesondere auf platinhaltige Therapien (eine Art von Medikament). Der Krebs schrumpft und die Symptome können sich verbessern. Doch selbst nach einer erfolgreichen Erstbehandlung kehrt der HGSC häufig zurück, oft in einer behandlungsresistenteren Form. Die Chemoresistenz entsteht, weil nur wenige Tumorzellen die erste Behandlung überleben und dann schnell wachsen und sich ausbreiten. Folglich sind die nächsten Behandlungsrunden weniger wirksam oder schlagen gar nicht mehr an. An diesem Punkt haben die behandelnden Ärztinnen und Ärzte nur noch wenige Behandlungsmöglichkeiten für ihre Patientinnen bzw. Patienten.
Eine weitere Herausforderung bei HGSC ist die genetische Komplexität und Heterogenität der Krankheit. Die Tumortypen unterscheiden sich stark je nach Patientin bzw. Patient, was die Entwicklung von Therapien, die für alle geeignet sind, erschwert. Im Rahmen des DECIDER-Projekts konzentrieren wir uns darauf, die Mechanismen der Chemoresistenz bei HGSC zu verstehen. Da die Krankheit so komplex und heterogen ist, gehen wir das Problem aus verschiedenen Blickwinkeln und mit verschiedenen Arten von Daten an: Wir analysieren longitudinale Gewebe- und Plasmaproben von Patientinnen bzw. Patienten (vor und nach der Behandlung) und analysieren die Sequenzierungsdaten, d.h. Informationen über den genetischen Aufbau der Tumorzellen, sowie bildgebende und klinische Daten. Wir verwenden Methoden der künstlichen Intelligenz, um vorherzusagen, welche Patientinnen bzw. Patienten besonders schlecht auf die Behandlung ansprechen und wir versuchen, die vorherrschenden Chemoresistenzmechanismen aufzudecken. Dies hilft uns, den behandelnden Ärztinnen und Ärzten andere Wege für personalisierte Behandlungsoptionen vorzuschlagen.
- Was wären die Vorteile der Zusammenarbeit mit Forschungsgruppen aus ganz Europa? Was haben Sie dadurch erreicht, was Sie sonst nicht hätten erreichen können?
Die Zusammenarbeit mit Forschungsgruppen aus ganz Europa bringt mehrere entscheidende Vorteile mit sich, insbesondere in der Krebsforschung: Im DECIDER-Projekt vereinen wir das multidisziplinäre Fachwissen von 16 Forschungsgruppen und Unternehmen in 14 Organisationen aus sieben europäischen Ländern. Das Fachwissen der Partner:innen reicht von klinischer Medizin, Genomik, Molekularbiologie, Informatik und KI bis hin zu biomedizinischen und datenschutzrechtlichen Fragen. Die Zusammenarbeit im Projekt ermöglicht es uns, dieses Fachwissen zu kombinieren.
Im Rahmen des Projekts können wir auf Hightech-Laborausrüstung, Biobanken und Forschungsinstrumente zurückgreifen, die nicht an jedem Ort verfügbar sind. So haben wir beispielsweise eine großartiges klinisches Team in Turku (Finnland), das für die Züchtung von Organoiden aus Patientengewebe spezialisiert ist, KI-Expertise in Heidelberg (Deutschland) und ein Team, das die Benchmarking-Infrastruktur in Barcelona (Spanien) aufbaut.
Durch die Zusammenarbeit können wir Ergebnisse und Daten austauschen, Doppelarbeit vermeiden und von den Erfolgen (und Misserfolgen) der anderen lernen. Dies trägt dazu bei, künftige Entdeckungen und Innovationen enorm zu beschleunigen.
- Was waren die größten Errungenschaften Ihres Projekts und wie können diese in ganz Europa nachgeahmt werden?
Wir sind sehr stolz auf die wissenschaftlichen Fortschritte im Rahmen des DECIDER-Projekts. Wir haben Methoden entwickelt, um mehrschichtige Daten in Wissen umzuwandeln, insbesondere durch die Analyse von Ganzgenomsequenzierung, RNA-Sequenzierung, histopathologischen und klinischen Daten. Wir haben mehr als 50 von Expertinnen bzw. Experten begutachtete Artikel in angesehenen Publikationen veröffentlicht und unsere Ergebnisse im Laufe der Jahre auf mehreren wissenschaftlichen Konferenzen vorgestellt und diskutiert.
Unsere Fortschritte bei der Übertragung der Forschungsergebnisse des Projekts in die Klinik sind hervorragend. Bereits drei Patientinnen bzw. Patienten mit HGSOC wurden auf der Grundlage unserer Analysen in klinische Arzneimittelstudien überwiesen, und bei fünf Patientinnen bzw. Patienten wurde die Behandlung aufgrund unserer Ergebnisse auf eine gezielte Therapie umgestellt. Außerdem wurden 14 Patientinnen bzw. Patienten und ihre Familien aufgrund unserer Ergebnisse an eine genetische Beratung verwiesen.
- Sind Sie bei der Durchführung Ihres Projekts und der Integration Ihrer Lösungen in breitere Gesundheitssysteme auf besondere Herausforderungen gestoßen?
Unsere Forschungsbemühungen sind nur ein Teil der europäischen und weltweiten Bemühungen, HGSC und andere Krebsarten besser zu verstehen und die Patientenversorgung zu optimieren. Diese Art von Forschung wird immer besser, wenn Daten ausgetauscht werden, z. B. über Patientenergebnisse, Tumoreigenschaften und Behandlungsreaktionen. Die Herausforderung besteht darin, dass Gesundheitsdaten nicht nur äußerst wertvoll für die Forschung sind, sondern auch hochsensibel und unter besonderem Schutz stehen. Unterschiedliche Gesetze, IT-Systeme und Metadaten erschweren den grenzüberschreitenden Austausch und Vergleich von Daten.
Die klinische Umsetzung der personalisierten Behandlung von HGSC in breiteren Gesundheitssystemen - wie z. B. in Europa - ist ebenfalls mit Herausforderungen verbunden. Eine personalisierte Behandlung hängt von der Kenntnis der genetischen Veranlagung einer Patientin bzw. eines Patienten ab, insbesondere bei HGSC mit ihrer großen genetischen Heterogenität. Nicht alle Krankenhäuser oder Länder haben den gleichen Zugang zu und die gleichen Finanzierungsmöglichkeiten für fortschrittliche Gentests. Am Universitätskrankenhaus Turku verfügen wir über ein sehr erfahrenes Team und ein hochoptimiertes System für die Entnahme von Patientengewebe, und dank der EU-Finanzierung haben wir die Möglichkeit, das Patientengewebe gründlich zu sequenzieren. Dies ist ein einzigartiges System, das in anderen Krankenhäusern nicht einfach in größerem Umfang umgesetzt werden kann. Wir hoffen jedoch, dass wir durch die Sensibilisierung von Patientinnen bzw. Patienten und Angehörigen der Gesundheitsberufe für die Methoden und Ergebnisse unseres Projekts immer mehr Menschen von den Möglichkeiten überzeugen können, die dieser personalisierte genetische Beratungs- und Behandlungsansatz bieten könnte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die personalisierte Behandlung von HGSC zwar sehr vielversprechend ist, ihre Verbreitung in ganz Europa aber auch bedeutet, dass Fragen wie der ungleiche Zugang zu Tests und Medikamenten, die Bereitschaft der Gesundheitssysteme, die gemeinsame Nutzung von Daten und die Gewährleistung, dass alle Patientinnen bzw. Patienten unabhängig von ihrem Wohnort davon profitieren können, angegangen werden müssen. Dies ist nicht nur eine wissenschaftliche Herausforderung, sondern auch eine logistische, wirtschaftliche, politische und ethnische.
- Wie wichtig ist die Unterstützung durch EU-Mittel für Ihr Projekt?
Der Aufbau einer so großen Patientenkohorte und die Zusammenarbeit eines so großen Expertenkonsortiums wären ohne die EU-Förderung nicht möglich.
Für uns, die akademischen Partner:innen, ermöglicht die Finanzierung klinisch wichtige Spitzenforschung zur personalisierten Medizin im Rahmen einer Langzeitstudie. Das Projekt und seine Finanzierung fördern Partnerschaften zwischen verschiedenen Ländern und Disziplinen und schaffen ein Netzwerk von Wissenschaftlerinnen bzw. Wissenschaftlern, Klinikerinnen bzw. Klinikern und Institutionen, das in der Krebsforschung unerlässlich ist.
Nur mit der Unterstützung der EU können wir die groß angelegten, hochwertigen Sequenzierungsdaten gewinnen, die für das Verständnis von HGSC so wichtig sind. Und schließlich der Zusammenarbeit mit internationalen und interdisziplinären Forscherinnen und Forschern wohlfühlen und erfolgreich sind.
Für die Industriepartner:innen in unserem Projekt bedeutet die EU-Finanzierung, dass das Risiko geteilt wird und Innovationen leichter möglich sind. Sie treibt ihre Innovation durch die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft voran und profitiert vom Zugang zu akademischem Wissen und regulatorischem Fachwissen.
Kurz gesagt, die EU-Förderung im Rahmen von Horizon 2020 ist entscheidend für echte Fortschritte in der Krebsforschung, sowohl für die Wissenschaft als auch für die Industrie.